Im Bellevue-Saal herrscht Verkehrschaos. Rund um den Spatenstich für die erste Reichsautobahn und die Sabotageaktion dagegen verteilen sich Seitenspiegel, Auspuffrohre und Autofußmatten. Bis in den Stuck über der Eingangstür verschmelzen Lenkräder und Felgen miteinander. Zwischen der Baustelle und dem Schild „Autobahn-Aktion“ verbietet ein Richtungspfeil, sich nach links zu wenden. Er erlaubt nur, geradeaus zu fahren oder rechts abzubiegen. Mathias Weinfurters und Theresa Lawrenz’ Ausstellung „130 km/h“ regt schon durch den Titel dazu an, von der Geschwindigkeitsbegrenzung bis zur Elektromobilität über Lösungen für Verkehrs- und Umweltprobleme der Region nachzudenken. Vor allem aber fordert „130 km/h“, sich grundsätzlich mit dem Straßenverkehr, seiner Dichte, der Autobahn, ihrer Geschichte und unserer Gedenkkultur seit 1935 auseinanderzusetzen.

Installationsansicht 130km/h, Kunstverein Bellevue Saal, Wiesbaden, GER, 2022
Mit dem Schild gegenüber des Spaliers aus 16 Spaten in Betonrecycling und Fotos zum Status quo renovierungsbedürftiger Gebäude in Haßleben und Charkiw symbolisiert Weinfurter den Internationalen Sozialistischen Kampfbund. Er sabotierte die Parade zur Einweihung der ersten Teilstrecke der Reichsautobahn aus Betonplatten am 19. Mai 1935. Die Gegner des NS-Regimes malten nachts Parolen auf die A 5 zwischen Frankfurt und Darmstadt. Dass Regen und Autos den morgens über die Parolen verteilten Sand flugs wegfegten, machte sie wieder öffentlich. Doch bis jetzt dokumentiert kein Denkmal die Anti-NS-Aktion. Stattdessen erinnert dort ein stets gepflegtes Denkmal an den 1933 der SS beigetretenen Rekordrennfahrer Bernd Rosemeyer, der auf dem Teilstück Anfang 1938 mit 429 Stundenkilometern tödlich verunglückte.
Wie der Bad Sodener Weinfurter, 33, der seit dem Studium in Offenbach und Jerusalem zwischen Frankfurt und Köln pendelt, nutzt die drei Jahre jüngere Mainzer Meisterschülerin mit Atelier in der Waggonfabrik das Reichsautobahn-Material Beton für ihre Objekte. Dysfunktional rollen die Räder nicht, sind die Maschinenteile voneinander gelöst und wird der Richtungspfeil zum Stolperstein. 94 Verbundpflastersteine goss Lawrenz aus Beton, um den Pfeil zu bilden. „No-brainer“ nannte sie, was Deutschen nicht keine, sondern – wie den beiden Bildhauern reichlich Überlegung wert sein sollte.

Erschienen im Wiesbadener Kurier, am 23.04.2022
Im Bellevue-Saal herrscht Verkehrschaos. Rund um den Spatenstich für die erste Reichsautobahn und die Sabotageaktion dagegen verteilen sich Seitenspiegel, Auspuffrohre und Autofußmatten. Bis in den Stuck über der Eingangstür verschmelzen Lenkräder und Felgen miteinander. Zwischen der Baustelle und dem Schild „Autobahn-Aktion“ verbietet ein Richtungspfeil, sich nach links zu wenden. Er erlaubt nur, geradeaus zu fahren oder rechts abzubiegen. Mathias Weinfurters und Theresa Lawrenz’ Ausstellung „130 km/h“ regt schon durch den Titel dazu an, von der Geschwindigkeitsbegrenzung bis zur Elektromobilität über Lösungen für Verkehrs- und Umweltprobleme der Region nachzudenken. Vor allem aber fordert „130 km/h“, sich grundsätzlich mit dem Straßenverkehr, seiner Dichte, der Autobahn, ihrer Geschichte und unserer Gedenkkultur seit 1935 auseinanderzusetzen.

Installationsansicht 130km/h, Kunstverein Bellevue Saal, Wiesbaden, GER, 2022
Mit dem Schild gegenüber des Spaliers aus 16 Spaten in Betonrecycling und Fotos zum Status quo renovierungsbedürftiger Gebäude in Haßleben und Charkiw symbolisiert Weinfurter den Internationalen Sozialistischen Kampfbund. Er sabotierte die Parade zur Einweihung der ersten Teilstrecke der Reichsautobahn aus Betonplatten am 19. Mai 1935. Die Gegner des NS-Regimes malten nachts Parolen auf die A 5 zwischen Frankfurt und Darmstadt. Dass Regen und Autos den morgens über die Parolen verteilten Sand flugs wegfegten, machte sie wieder öffentlich. Doch bis jetzt dokumentiert kein Denkmal die Anti-NS-Aktion. Stattdessen erinnert dort ein stets gepflegtes Denkmal an den 1933 der SS beigetretenen Rekordrennfahrer Bernd Rosemeyer, der auf dem Teilstück Anfang 1938 mit 429 Stundenkilometern tödlich verunglückte.
Wie der Bad Sodener Weinfurter, 33, der seit dem Studium in Offenbach und Jerusalem zwischen Frankfurt und Köln pendelt, nutzt die drei Jahre jüngere Mainzer Meisterschülerin mit Atelier in der Waggonfabrik das Reichsautobahn-Material Beton für ihre Objekte. Dysfunktional rollen die Räder nicht, sind die Maschinenteile voneinander gelöst und wird der Richtungspfeil zum Stolperstein. 94 Verbundpflastersteine goss Lawrenz aus Beton, um den Pfeil zu bilden. „No-brainer“ nannte sie, was Deutschen nicht keine, sondern – wie den beiden Bildhauern reichlich Überlegung wert sein sollte.

Erschienen im Wiesbadener Kurier, am 23.04.2022