Auf meiner Strecke laufe ich regelmäßig an einem Doppelstabmattenzaun vorbei. Er trennt eine Tennisanlage von dem öffentlichen Grünraum, den ich benutze. Ich sehe durch ihn hindurch die Spieler*innen, ich kann jedoch die Seite nicht wechseln. Bestimmte Aktivitäten setzen ihre Ein- und Abgrenzung voraus, ihr Anders-sein bedarf einer Vorrichtung, die sie als eine solche markiert und unerreichbar macht für die, die nicht Teil von ihr sind, Teil dieser Sportart etwa und Teil der Institution, die die Ausübung ermöglicht. Es ist also in einer ersten Lesart nicht der Privatbesitz, der vom öffentlichen Raum getrennt wird, es ist vielmehr die Aufteilung der Handlungen selbst, die die Trennung bedingt. Alle Handlungen, die einer kontraktuellen Logik folgen, sind separiert von solchen, die von den Individuen einzeln, kontingent und in ihrem Alltag vollzogen werden. Um in den Genuss des Tennisspielens zu kommen, müsste ich die Technik selber beherrschen und durch eine finanzielle Beteiligung Mitglied des jeweiligen Clubs werden. Mich also in meiner Spiel-Handlung institutionalisieren (lassen). Der Zaun ist in diesem Gefüge die sichtbare, instituierende Macht. Er übt Macht aus in seiner Trennung zweier Räume. Dies ist seine gesellschaftliche Bestimmung.
Zäune – in einer zweiten Annäherung – zeigen an, dass ein Stück Land eine*n Besitzer*in hat, sie beschreiben im Umzäunen eines bestimmten Territoriums dessen Ausdehnung und Verlauf, sind also die sinnlich-materielle Markierung eines auf sich aufmerksam machenden und von sich abweisenden Besitzes. Dieserart bekräftigen sie einen sehr alten Dualismus, den einer unbeweglichen, gleichbleibenden, proprietären Entität und einer beweglichen, sich verändernden, nicht-proprietären Entität. Anders gesagt, den Dualismus aus Grundstück und frei beweglichen Elementen. Als Teil dieser Manifestation erfüllen Zäune die Funktion, Bewegung in beide Richtungen zu unterbinden, also bewegliche Entitäten innerhalb des Grundstückes davon abzuhalten, ungeordnet das Land zu verlassen und fremde Entitäten daran zu hindern, das Grundstück zu betreten. Innerhalb dieser Aufgabe zeigt der aus Stahl verfertigte Doppelstabmattenzaun eine maximale Verlässlichkeit. Seine Anwendung findet sich an unterschiedlichsten Grundstücken, der Universalzaun demonstriert Eigentumsrecht, damit Verbot und physische Abwehr. Im Gegensatz zu einer Mauer, die zusätzlich zur Abgrenzung auch noch ‚Sichtschutz‘ aufbietet, intransparent ist, also nicht erkennen lässt, was sich auf der anderen Seite befindet, arbeitet der Zaun mit einer zugleich ausgestellten wie unerreichbaren Sichtbarkeit. Das Gegenüber ist sichtbar, jedoch mit einem Verbot belegt. Hier lässt sich ein Vergleich zur Bildkunst machen. Ein jedes Bild zeigt uns ‚etwas‘, jedoch müssen wir uns mit diesem Etwas als Bild begnügen, wir können die Seite nicht wechseln, es verbleibt eine Fernwirkung, ein Sehen, eine Beziehung auf Distanz. Auch wenn das Bild einer anderen Seinsweise angehört, hingegen der Zaun stets eine gleiche Wirklichkeit unverbunden macht, so mag das Verbot, das beide erlassen, dennoch vergleichbar sein.
Die Installation Indices arbeitet – zunächst – innerhalb dieser Logik. Da sind mehr als 50 Zäune, sie wurden gefilmt und man sieht im jeweiligen Raumausschnitt der Projektion den sicht-durchlässigen Zaun, das Davor und das Dahinter. Und dann ist da ein identer Zaun im Galerieraum, er umfriedet die Projektion, durch ihn hindurch sehen wir die Bildzäune, durch die hindurch wir ein eingegrenztes Territorium sehen. Der Real-Zaun wiederholt das Verbot der filmisch gezeigten Räume in ihrer jeweiligen territorialen Autorität, überträgt es auf Techniken der Inklusion und Exklusion in Kunsträumen. Insofern ist für die Betrachtung nachgerade die Unmöglichkeit der Überwindung der Grenze eine unmittelbare Erfahrung des Aus- und Einschlusses beider Räume. Weder kann ich als Betrachter den Ort des Bildes erreichen, noch den vom Zaun eingegrenzten Galerieraum begehen. Eine eigentümliche Spannung in der Ordnung der Dinge manifestiert sich. Die Verbindung von Bild und Wirklichkeit durch ein identes Objekt – hier im Kunstraum, dort im Realen der Aufnahmen – zwingt die Betrachtenden zu einem umfassenden Sich-Einlassen auf die Semantik und Ordnung der Installation.
Ein Zaun hat Handlungsmacht, Ding-Macht. Er trennt zwei Räume, lückenlos. Hierdurch ist er Teil eines institutionellen Gefüges. Innerhalb dieses Gefüges ist er eine besondere Materie, die wirkmächtig Ordnungen stabilisiert. Sie lässt erinnern an ein sehr altes Prinzip, das Prinzip der Aufteilung von Akten in solche, die den Einzelnen als identifizierbare und privilegierte Teile einer institutionellen Ordnung zukommen und in solche die einer diffusen Allgemeinheit ohne institutionelle Anbindung angehören. In seiner (All-)Gegenwart entwirft der Zaun eine Kontinuität dieser Hegemonie einer Raumhierarchie in die Zukunft hinein.
So eine erste Erfahrung, die Erfahrung einer „totalen sozialen Tatsache“ (Mauss), einer Sache – ein Material, ein Zaun – die handelt, Unterteilungen, Inklusion und Exklusion vornimmt, verfügt. Doch die Installation hat einen Namen, Indices, dieser erhellt sich allererst über zwei Eingriffe von Mathias Weinfurter, die beiden Zäune widerfahren, dem Realzaun und dem Bildzaun.
In einem ersten Eingriff wird die Handlungsmacht des Zaunes unterlaufen. Sowohl im Hier-Zaun des Galerieraumes, als auch im Dort-Zaun der Projektion sind Stäbe entfernt, herausgetrennt worden, die so entstandenen Lücken sind für den flüchtigen Blick zwar unauffällig, doch signalisieren sie eine empfindliche Verletzung der disziplinären Ordnung. Sie unterbrechen die Regelmäßigkeit des Rasters und in die Leerstelle hinein vermag nun auch ein Halt, eine Stütze, sich auffordernd anzubieten, den Zaun und also die Grenze zu überwinden. Seine Macht ist gebrochen, das Jenseits des Zaunes erreichbar, ein Positionswechsel – ein ‚Hausfriedensbruch‘, eine ‚Sachbeschädigung‘ – vorstellbar geworden.
Ein zweiter Eingriff wirkt nun diesem ersten subversiven Akt entgegen. Ein Spiegel in der Höhe des Zaunes ist auf eine Weise in die Installation integriert, so dass sein Spiegelbild suggeriert, das Gitterraster sei vollkommen, normal, unverletzt. Sein Bild schließt das aufgebrochene Raster im Imaginären der Reflektion, lässt es heil aussehen. Der Spiegel vervollständigt das Fehlende zur ursprünglichen Ganzheit. Diese Wiederherstellung der Ordnung des Rasters, damit der Macht der Grenze, ist ein visueller Effekt, ein Trugbild, das auf der einen Seite versöhnt, diejenigen beruhigt, die die Schließung, die Trennung erwünschen, auf der anderen Seite irritiert, da es ja die Hoffnung, die Möglichkeit auf eine Überwindung der Grenze immer noch gibt.
Diesen zweiten Eingriff hat Mathias Weinfurter der Spiegeltherapie in der Rehabilitation entlehnt. Diese lässt mit Hilfe eines Spiegels nach Amputationen das fehlende Glied als Bild wiedererscheinen, provoziert also die Vision eines intakten Körpers, aller Körperteile, hilft auf diese Weise das Trauma der Verletzung zu überwinden, die Phantomschmerzen zu tilgen. Im Spiegel vervollständigt sich der Körper wieder. Auch der Stahlkörper des Doppelstabmattenzauns wird im Spiegelbild wieder intakt, lässt die Betrachter*innen die Aussage seiner Unüberwindbarkeit wiederholen. Doch auch die Projektionen der Zäune werden mit Hilfe eines Bildbearbeitungsprogrammes gespiegelt. Digital gespiegelt, so dass wir nicht den tatsächlichen Verlauf eines bestimmten Zaunes sehen, sondern nur die eine Hälfte, die gespiegelt sich in-sich-selbst gedreht auf der zweiten Seite fortsetzt. Sichtbar, erkennbar wird diese bild-interne Spiegelung in jenen Momenten, in denen sich ein Auto oder ein Zug am Zaun vorbei bewegen, etwa links in das Bild eintreten, dann kurz verschwinden, um rechts erneut in das Bild hineinzufahren.
Diese irritierende visuelle Erfahrung, hier eines ‚intakten‘ Realzaunes, dort gleichfalls ‚intakter‘ Bildzäune, beide jedoch Resultat einer paradoxen Intervention von Spiegeltechniken, diese Erfahrung verschiebt die erste der totalen sozialen Tatsache “Zaun” in ein sinn-changierendes Spiel aus Spuren, Indices der Aneignung, der Imagination, der Selbsttäuschung, der Selbstbehauptung, ein Spiel also aus heterokliten Möglichkeitsräumen. Beide Räume beginnen nun zu vibrieren, die Allgemeinheit bricht ein ins Einzelne, die Einzelnen proliferieren ins Allgemeine.